Belastungsinkontinenz (ehem. Stressinkontinenz)

Die Belastungsinkontinenz ist mit etwa 60 Prozent die häufigste Form der Harninkontinenz bei Frauen. Diese sind wesentlich häufiger betroffen als Männer. Zum Glück ist diese Form der Inkontinenz mittlerweile gut erforscht. Daher gibt es Behandlungsmethoden, die in den meisten Fällen zu einer Besserung führen.

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Definition Belastungsinkontinenz

Mediziner sprechen von einer Harninkontinenz, wenn Menschen ungewollt Urin aus der Harnblase verlieren. Bei einer Belastungsinkontinenz geschieht das, wenn durch körperliche Belastung  wie beim Husten, Niesen oder schwerem Heben der Druck im Bauchraum steigt und der Schließmuskel diesem Druck nicht standhalten kann. Der Blasenmuskel ist dabei nicht beteiligt. [1]

Früher nannte man diese Art der Inkontinenz auch Stressinkontinenz. 2002 fand allerdings eine Überarbeitung der Klassifikation der unterschiedlichen Arten von Harninkontinenz statt. Hier wurde dieser Begriff zugunsten der Belastungsinkontinenz verworfen. Nach wie vor finden sich aber zum Teil beide Bezeichnungen, die das Gleiche meinen. [2]

Die verschiedenen Grade der Belastungsinkontinenz

Die Belastungsinkontinenz unterteilt sich in drei Grade: [3]

Grad 1: Tröpfchenweiser Urinverlust beim Husten und Niesen im Stehen
Grad 2: Urinverlust auch bei abrupten Bewegungen sowie beim Aufstehen und Hinsetzen
Grad 3: Urinverlust auch bei leichten Bewegungen sowie im Liegen

Wie erkennt man eine Belastungsinkontinenz?

Typisch für die Belastungsinkontinenz ist, dass der Urinverlust immer in unmittelbarem Zusammenhang mit bestimmten Tätigkeiten steht. Der auslösende hohe Blasendruck entsteht in der Regel beim: 

  • Husten
  • Niesen
  • Lachen
  • Heben schwerer Lasten
  • Treppensteigen
  • Hüpfen
  • Laufen [4]

Diagnostik bei Belastungsinkontinenz

In der Praxis diagnostizieren Ärzte die Belastungsinkontinenz. Eine umfassende Diagnostik besteht aus einer mündlichen Anamnese, einer Urinanalyse sowie einer Restharnmessung. Dadurch lassen sich andere Erkrankungen als Ursache für den Harnverlust ausschließen. Gut ist außerdem, wenn Sie bereits ein Miktionstagebuch geführt haben, in dem Sie Ihre Beschwerden dokumentieren. [3]

Wie kommt es zu einer Belastungsinkontinenz?

Eine gesunde Harnblase wird von Muskeln, den sogenannten Sphinktern fest verschlossen. Ist dies nicht mehr gewährleistet, entweicht bei hohem Druck im Bauchraum und damit auf die Blase Urin nach draußen. Die Gründe dafür sind je nach Geschlecht unterschiedlich. [2]

Ursachen einer Belastungsinkontinenz bei Frauen

Durch Schwangerschaft und Geburt ist der Beckenboden großen Belastungen  ausgesetzt. Der komplexe Apparat aus verschiedenen Bändern und Muskeln im Becken wird durch die Geburt stark beansprucht. Die starke Belastung und Verletzungen bei und durch eine Geburt führen nicht selten zu einer Belastungsinkontinenz. [2]

Gleichzeitig verliert der Beckenboden im Laufe des Lebens an Stärke und Elastizität. Erschlafft er, kann das ebenfalls den festen Verschluss der Harnröhre durch den Sphinkter beeinträchtigen. Nicht zuletzt können Operationen an Gebärmutter oder Harnblase zu einer Belastungsinkontinenz führen. [2]

Ursachen für eine Belastungsinkontinenz bei Männern

Die für den festen Verschluss der Harnblase zuständigen Sphinktermechanismen werden bei Männern am häufigsten im Rahmen ärztlicher Behandlungen am Beckenboden beeinflusst. Am häufigsten entsteht eine Belastungsinkontinenz bei ihnen nach einer Operation oder Strahlentherapie an der Prostata. 

Je nach Methode liegt das Risiko, danach eine Belastungsinkotinenz zu entwickeln, zwischen 1 und 10 Prozent. Grund dafür ist, dass sich die Muskulatur und das Bindegewebe des Beckenbodens sowie die Lage der Blase und der Harnröhre verschieben. Dadurch können die Sphinkter nicht mehr dicht schließen. [6]

Was ist eine Mischharninkontinenz?

Manchmal treten die beiden häufigsten Formen der Harninkontinenz, Belastungsinkontinenz und Dranginkontinenz, zusammen auf. Betroffene verlieren dann einerseits bei körperlicher Belastung ungewollt Urin. Andererseits leiden sie auch unter dem für die Dranginkontinenz typischen imperativen Harndrang. [2]

Eine Mischharninkontinenz entsteht häufig dann, wenn Betroffene bereits länger unter einer Belastungsinkontinenz leiden. Mit zunehmendem Alter kommen dann die für die Dranginkontinenz typischen Beschwerden hinzu. Seltener lösen operative Eingriffe zur Behandlung der Belastungsinkontinenz eine zusätzliche Dranginkontinenz aus, ohne dass die ursprünglichen Symptome verschwinden. [2]

Behandlung: Was bei einer Belastungsinkontinenz tun?

Die Behandlung einer Belastungsinkontinenz erfolgt stufenweise. Das heißt, zuerst wird versucht, die Symptome mit Verhaltensänderungen und anderen konservativen Maßnahmen zu verbessern. Erst wenn das nicht hilft, kommen Medikamente zum Einsatz. Eine Operation stellt das letzte Mittel dar. Sie kommt nur in Frage, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. [3]

Konservative Maßnahmen 

Studien zeigen, dass Übergewicht den Druck im Bauchraum und auf die Blase deutlich erhöht. Bei einer Gewichtsabnahme verbessert sich häufig die Inkontinenz. Andere Interventionen bezüglich des Lebensstils können ein verändertes Trinkverhalten und zumindest das zeitweise Vermeiden von körperlichen Anstrengungen sein. Den wichtigsten Baustein einer konservativen Therapie bildet jedoch eine Physiotherapie mit gezieltem Beckenbodentraining. [1]

Beckenbodentraining bei Belastungsinkontinenz

Unter fachlicher Anleitung lernen Betroffene in der Physiotherapie, ihren Beckenboden gezielt anzusteuern und anzuspannen. Dabei können verschiedene Hilfsmittel zum Einsatz kommen. Biofeedback kann helfen, schneller ein Gefühl für das richtige Anspannen zu bekommen. Frauen können außerdem Vaginalkonen zur zusätzlichen Stimulierung und für ein abwechslungsreicheres Training nutzen. [4]

Im Rahmen der Physiotherapie lernen Betroffene, ihren Beckenboden bei körperlichen Anstrengungen sowie beim Husten und Niesen automatisch anzuspannen. Damit wirken sie dem erhöhten Druck im Bauchraum und auf die Harnblase entgegen und vermeiden den Urinverlust. Bis dabei ein Automatismus entsteht, ist viel Zeit und Übung nötig. [4]

Erfahren Sie mehr über das Beckenbodentraining.

Medikamente gegen Belastungsinkontinenz

Führen ein veränderter Lebensstil und Beckenbodentraining nicht zu einer Verbesserung oder Heilung der Belastungsinkontinenz, kann eine medikamentöse Therapie erwogen werden. Bei Frauen führt häufig eine lokale Hormontherapie zu einer Verbesserung der Beschwerden. Außerdem gibt es mit Duloxetin ein Medikament, das gezielt den Verschluss am Blasenhals verbessert. [3]

Operative Verfahren bei Belastungsinkontinenz

Wenn Medikamente die Belastungsinkontinenz nicht ausreichend verbessern, kommt eine Inkontinenzoperation infrage. Diese erfolgen heute größtenteils minimalinvasiv. Der derzeitige Goldstandard ist ein Tension-free Vaginal Tape, kurz TVT. Dabei legen die behandelnden Chirurgen eine Schlinge um den mittleren Teil der Harnröhre. Dadurch verrutscht diese unter Belastung nicht mehr und der Sphinkter kann sie sicher verschließen. [2,3]

Quellen

[1] Gust, K., Bartsch, G., Haferkamp, A. (2014). Funktionsstörungen des unteren Harntraktes. In: Hautmann, R., Gschwend, J. (eds) Urologie. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org 
[2] Frohme, C. (2016). Klassifikation und Pathophysiologie der weiblichen Harninkontinenz. In: Michel, M., Thüroff, J., Janetschek, G., Wirth, M. (eds) Die Urologie. Springer Reference Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org
[3] Hess, T. (2011). Belastungsinkontinenz der Frau. Journal für Urologie und Urogynäkologie, 18 (1), 12-13.
[4] Schär, G. (2006, May). Harninkontinenz bei Frauen-ein häufiges und oft schweres Lebensqualitätsproblem. In Swiss Medical Forum (Vol. 6, No. 19, pp. 442-447). EMH Media.
[5] https://kontinenzgesellschaft.at
[6] Anding, R. (2016). Pathophysiologie der männlichen Harninkontinenz. In: Michel, M., Thüroff, J., Janetschek, G., Wirth, M. (eds) Die Urologie. Springer Reference Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org