Harninkontinenz durch Übergewicht

Für Inkontinenz gibt es viele Ursachen. Auch ein zu hohes Gewicht kann einen Einfluss auf unsere Kontinenz haben. Warum das so ist und weshalb Sie mit einer Gewichtsreduktion auch Ihre Blase entlasten können, erfahren Sie in diesem Artikel.

Inhalte

Was ist Inkontinenz?

Harninkontinenz, auch als „Blasenschwäche“ oder „schwache Blase“ bekannt, bezeichnet die fehlende oder mangelnde Fähigkeit des Körpers, den Blaseninhalt zu halten und selbst zu bestimmen, wann und wo er entleert werden soll. Unwillkürlicher Urinverlust ist die Folge. Je nach Ursache werden verschiedene Formen der Harninkontinenz unterschieden. Die drei häufigsten Formen sind:

  1. Belastungsinkontinenz (früher Stressinkontinenz): aufgrund von schwachem Beckenboden und Absenkung der Organe unfreiwilliger Harnabgang bei Belastungen wie Niesen, Heben oder Bewegungen.
  2. Dranginkontinenz: plötzlich sehr starker, nicht zu unterdrückender Harndrang führt  zu Urinverlust, verursacht wird der sehr starke Harndrang durch falsche Signale aus Blase oder Gehirn.
  3. Mischinkontinenz: eine Mischform aus 1. und 2. [1]

Welche Form von Inkontinenz bei Ihnen vorliegt, ist wesentlich für die Therapieempfehlungen.

Wie viele Personen weltweit an Harninkontinenz leiden, ist unklar. Es existieren dazu schwankende Angaben zwischen vier und 44,4 %. Das wären im Mittel bis zu 23,5 % Betroffene weltweit. Zudem kann man von einer hohen, nicht erfassten Dunkelziffer ausgehen, denn obwohl so viele Männer und Frauen an Harninkontinenz leiden, ist diese Erkrankung sehr schambehaftet und ein Tabuthema. [1]

In Deutschland haben circa 12,6 % der Bevölkerung eine Harninkontinenz, wobei Frauen etwas häufiger betroffen sind als Männer. Dies erklärt sich durch den unterschiedlichen Aufbau des Beckens: der weibliche Beckenboden hat mehr Durchgänge, ist dehnbarer und kann zusätzlich durch Schwangerschaften und Geburten geschwächt sein. Inkontinenz kann in jedem Lebensalter entstehen. Auftreten und Ausmaß steigt jedoch mit zunehmendem Alter an. [1]

Führt Übergewicht zu Inkontinenz?

Übergewicht und Adipositas wurden in mehreren Studien als Risikofaktoren für Harninkontinenz identifiziert. Gerade das Auftreten von Drang- sowie Belastungsinkontinenz scheint mit zunehmendem Body-Mass-Index (BMI) proportional zuzunehmen [2]. In der „Nurses Health Study“, an der mehr als 120.000 Krankenschwestern teilnahmen, wurde herausgefunden, dass Frauen mit Adipositas 1,6× häufiger an Harninkontinenz litten als Normalgewichtige im gleichen Alter [3].

Gründe: Warum entsteht Inkontinenz bei Übergewicht?

Übergewicht und Adipositas belasten nicht nur Kreislauf und Gelenke, sie schwächen auch die Blasenmuskulatur und die Beckenbodenmuskulatur. Die Folge: anhaltender akuter Harndrang oder unfreiwilliger Harnverlust schon bei leichter körperlicher Anstrengung, etwa beim Husten oder Niesen. [3]

Besonders ein hoher Body-Mass-Index (BMI) und Hüftumfang lassen das Risiko, an einer Harninkontinenz zu erkranken, steigen. Obwohl inzwischen fast jeder zweite Deutsche mäßig bis stark übergewichtig ist und jeder Zehnte unter Inkontinenz leidet, wird über den Zusammenhang zwischen den beiden Volkskrankheiten noch nicht genügend informiert und aufgeklärt. [3]

Welche Formen der Harninkontinenz können durch Übergewicht begünstigt werden?

Die drei am häufigsten auftretenden Inkontinenzformen sind auch die, die durch Adipositas und Übergewicht begünstigt werden: [3]

  1. Belastungsinkontinenz
  2. Dranginkontinenz und die
  3. Mischinkontinenz (Mischform aus 1. und 2.)

Behandlung der Inkontinenz bei Übergewicht

Liegt neben der Harninkontinenz Übergewicht vor, besteht die Therapie aus verschiedenen Maßnahmen. An allererster Stelle steht die Gewichtsreduktion. Aber auch Beckenbodentraining, Verhaltenstherapie, Medikamente sowie Operationen können helfen, unfreiwilligen Harnabgang zu reduzieren. [2]

Gewichtsabnahme

In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass sich bereits eine Gewichtsreduktion von 5–10 % bei übergewichtigen Frauen positiv auf eine existierende Harninkontinenz auswirkte [4, 5]. Gewichtsreduktion erlangen Sie durch eine langfristige Ernährungsumstellung und regelmäßige Bewegung bei gleichzeitiger Verhaltenstherapie. 

Regelmäßige, moderate körperliche Aktivität kann zudem die Beckenbodenmuskulatur stärken und somit insbesondere die Symptome einer Belastungsinkontinenz reduzieren. Übermäßige körperliche Anstrengung kann allerdings auch das Gegenteil bewirken. [2]

Beckenbodentraining (BBT)

Bei einer Belastungsinkontinenz kann ein gezieltes Beckenbodentraining helfen, die Beckenbodenmuskulatur so zu stärken, dass Sie die Kontrolle über Ihre Blase zurückerlangen. Das Beckenbodentraining findet im Rahmen einer Physiotherapie statt. Ziel ist, dass sich der Beckenboden bei alltäglichen Situationen, wie zum Beispiel Niesen oder Husten, automatisch anspannt.

Verhaltenstherapie

Verhaltenstherapie ist ein wichtiges Element in der Therapie der Adipositas. Aber auch in Bezug auf Harninkontinenz kann das Erlernen von neuen Verhaltensweisen helfen, die Symptome zu verbessern. 

Dazu gehört beispielsweise das bereits erwähnte Beckenbodentraining bei einer Belastungsinkontinenz. Bei einer Dranginkontinenz hilft ein Toiletten- und Blasentraining, die Blasenfunktion besser zu kontrollieren. Durch das längere Halten des Urins werden die Phasen zwischen den Blasenentleerungen verlängert. Dadurch lernen Sie, wieder Kontrolle über und Vertrauen in Ihre Blase zu erhalten. [2]

Medikamente

Sollte das Gewicht sich nicht durch konservative Maßnahmen reduzieren lassen, gibt es Medikamente, die das Abnehmen fördern können. In diesem Artikel erfahren Sie mehr über Medikamente bei Adipositas

Harninkontinenz kann mittels medikamentöser Therapie behandelt werden. Dafür gibt es mehrere, unterschiedliche Medikamente, wie z. B.:

  • Anticholinergika/Antimuskarinika wirken dem übermäßigen Zusammenziehen der Muskeln der Blasenwand bei Drang- oder Mischharninkontinenz entgegen. [6]
  • ß3-Adrenorezeptor-Agonisten wirken dem übermäßigen Zusammenziehen der Muskeln der Blasenwand bei Drang- oder Mischharninkontinenz ebenfalls entgegen
  • Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSNRI) stärken den Schließmuskel bei Belastungs- oder Mischharninkontinenz
  • Östrogene bei Belastungs-, Drang- und Mischharninkontinenz
  • Alternativmedizinische Ansätze bei Belastungs-, Drang- und Mischharninkontinenz wie Phytotherapie, Ernährung und Nahrungsergänzungsmittel, Vitamin D-Gabe sowie Akupunktur [2]

Eine Gewichtsabnahme sowie die medikamentöse Behandlung einer Inkontinenz benötigen Zeit. Erste Wirkungen der Inkontinenz-Medikamente machen sich meist erst nach zwei Wochen bemerkbar, verstärken sich jedoch mit der Zeit.

Operationen

Bariatrische OP

Bariatrische Operationen, die zur Gewichtsreduktion durchgeführt werden, verbessern in der Regel auch die Folge- und Begleiterkrankungen von Adipositas. Somit kann bei schwerer Adipositas die Belastungsinkontinenz nach der Operation zurückgehen, wenn durch sie Gewicht verloren wurde. [7]

Eingriffe am Harnsystem 

Als minimalinvasive Behandlung der Dranginkontinenz/überaktiven Blase gibt es beispielsweise die Möglichkeit, Onabotulinumtoxin A (Botox) in die Harnblasenwand zu injizieren, um sie zu entspannen. Zur Behandlung der Belastungsinkontinenz kommt z. B. die Schlingen-Operation in Frage, bei der ein Kunststoffband den Blasenverschluss verstärkt. 

Darüber hinaus gibt es noch weitere chirurgische Maßnahmen, die bei Belastungs-, Drang- und Mischharninkontinenz angewendet werden können [2]. Lassen Sie sich dazu von Ihren Ärzten beraten.

Abhilfe bei bestehender Inkontinenz

Bei einer bestehenden Harninkontinenz können Hilfsmittel wie Vorlagen, Einmal-Unterwäsche und Penisklemmen oder Kondom-Urinale helfen, einen feuchten Genitalbereich und damit einhergehende weitere Folgen für die Haut im Genitalbereich zu vermeiden. Teilweise werden die Kosten für Hilfsmittel von der Krankenkasse übernommen. Informieren Sie sich bei Ihren Ärzte sowie Ihrer Krankenkasse über Möglichkeiten.

Zusammengefasst

Übergewicht kann durch Schwächung der Beckenbodenmuskulatur mit Harninkontinenz einhergehen. Eine Gewichtsabnahme durch konservative oder chirurgische Maßnahmen kann nachweislich helfen, die Harninkontinenz zu therapieren und sollte daher als Erstbehandlung in Betracht gezogen werden.

Auch Beckenbodentraining und Verhaltenstherapie können helfen, Kontrolle über den unfreiwilligen Urinabgang zu erlangen. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, gibt es wirksame Medikamente und Operationen, die Abhilfe schaffen können. 

Quellen

[1] Beutel, M.E. et al. (2005): Prävalenz der Urininkontinenz in der deutschen Bevölkerung. Komorbidität, Lebensqualität, Einflussgrößen. In: Die Urologie, A44, S. 232-238.
[2] AWMF online (2021): Leitlinienprogramm Harninkontinenz der Frau. In: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/015-091l_S2k_Harninkontinenz-der-Frau_2022-03.pdf (letzter Aufruf: 04.10.2022)
[3] Townsend, M.K. et al. (2008): BMI, waist circumference, and incident urinary incontinence in older women. In: Obesity (Silver Spring), 16/4, S. 881-886.
[4] Subak, L. et al. (2009): Weight Loss to Treat Urinary Incontinence in Overweight and Obese Women. In: New England Journal of Medicine, 360, S. 481-490.
[5] Subak, L. et al. (2009a): Obesity and Urinary Incontinence: Epidemiology and Clinical Research Update. In: Journal of Urology, 182/6, S. 2-7.
[6] Höfner, K. (2003): Therapie der instabilen Blase – mit Antimuskarinika. In: Die Urologie, 6/2003.
[7] Subak, L. et al. (2015): Urinary Incontinence Before and After Bariatric Surgery. In: JAMA Intern Medicine, 175(8), S. 1378–1387.
[8] Lifford K.L. et al. (2005): Type 2 diabetes mellitus and risk of developing urinary incontinence. In: Journal of American Geriatric Society, 53, S. 1851–7.